Unterwegs mit
der Brünig Dampfbahn
Fünf Mal pro Jahr fährt die Brünig Dampfbahn für die Öffentlichkeit von Interlaken Ost via Brünigpass nach Giswil. Ein Erlebnisbericht.
Sonntagmorgen, 7.30 Uhr. Es herrscht reger Betrieb vor dem Depot der Brünig Dampfbahn am Bahnhof Interlaken Ost. Andreas «Andy» Alig, Lokführer und Mitarbeiter Werkstatt, begrüsst uns. Er hantiert an der Lokomotive des Typs G 3/4 (Nummer 208). «Auf das Händeschütteln verzichten wir wohl besser», sagt er – und lacht. Seine Hände sind voller Öl. Minuten später füllt er Kessel um Kessel mit Kohle, die anschliessend in den Führerstand der Lokomotive geleert werden. Und auch eine Bremsprobe wird noch durchgeführt. Seit 5 Uhr in der Früh ist er vor Ort. Eine Fahrt mit der Dampfbahn braucht so ihre Vorlaufzeit. Eingeheizt wurde die Lokomotive sogar bereits am Vorabend.
Das Briefing
Es ist mittlerweile 8.15 Uhr. Andy Alig bittet zum Briefing im Aufenthaltsraum des Depots. Er geht mit dem Team – 16 Personen, von den Lokführern bis zu den Mitarbeiterinnen im Barwagen, vom Marketingleiter bis zu den Zugbegleitern – den Betriebsablauf durch. Bei welchen Haltestellen dürfen die Passagiere aussteigen, bei welchen nicht? Was muss beim Lokwechsel in Meiringen beachtet werden? Wo muss die Dampfbahn aufs Abstellgleis, damit die Zentralbahn, welche auf dieser Strecke verkehrt, ungestört passieren kann? Hinter der Fahrt steckt eine riesige Organisation. Bis auf die Minute genau ist der ganze Tag terminiert. «Daran, beziehungsweise auf die Anweisungen per Handy aus der Zentralbahn-Leitzentrale in Stansstad müssen wir uns strikt halten», erklärt Andy Alig.
Einsteigen, bitte!
Zurück vor dem Depot sind die ersten Passagiere und Schaulustigen eingetroffen. Soeben werden die vier Wagen aus dem vorletzten Jahrhundert angehängt. Handys werden gezückt, aber auch teure Kameras. Hunderte, ja tausende Aufnahmen der Zugkomposition werden heute im Verlauf des Tages gemacht. Letzte Details werden montiert, so etwa die «Scheinwerfer» – Petroleumlampen – an der Lokomotive. Das Personal der Brünig Dampfbahn hat sich mittlerweile umgezogen, ist gekleidet wie anno dazumal. Die Lokomotive pfeift ein erstes Mal. «Einsteigen, bitte!». Dann setzt sich die Bahn auch schon dampfend in Bewegung Richtung Bahnhof Interlaken Ost, wo weitere Passagiere dazusteigen.
Feiner Kaffee – tolle Aussicht
9.15 Uhr: Kaum unterwegs, kommen Rosmarie Grossen und ihre Enkeltochter Amalia Grossen mit Körben voller Getränke und Sandwiches von Wagen zu Wagen. Wir gönnen uns einen feinen Kaffee. Und wir lernen Mike Ellis, Leiter Marketing International und Mitarbeiter Werkstatt, kennen. Der gebürtige Engländer ist heute als Wagenbegleiter im Einsatz. «Pro Wagen braucht es eine Aufsichtsperson, das ist Vorschrift, aus Sicherheitsgründen», erklärt er uns. Wir sitzen im hintersten Wagen, durch eine Tür gelangen wir ins Freie, haben wir hinten hinaus direkte Sicht auf die Gleise – und auf den türkisblauen Brienzersee. À propos blau: Diese Farbe suchen wir am Himmel vergebens. Statt über 30 Grad wie unter der Woche, zeigt das Thermometer heute nur noch 15 bis 20 Grad an. Der Himmel ist grau und Nebelschwaden ziehen an uns vorbei. Am Abend, beim Betrachten der Fotos, werden wir feststellen: Vielleicht genau das perfekte Wetter für kontrastreiche Aufnahmen.
Aufs Abstellgleis in Oberried
Wir teilen uns den Wagen mit sechs Schweizern – und einer grösseren Reisegruppe aus England. Es ist also kein Zufall, dass Mike Ellis gerade diesen Wagen begleitet. Sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch erzählt er immer wieder Spannendes rund um die Brünig Dampfbahn. 9.35 Uhr: Wir sind mittlerweile in Oberried, stoppen ein erstes Mal. Der Lokführer rangiert den Zug. Er fährt zuerst zurück in den Tunnel, um dann auf dem Abstellgleis des Bahnhofs anzuhalten, damit der Zug der Zentralbahn passieren kann. Hier gilt ein striktes Aussteigeverbot.
Die guten, alten Kartonbillette
Kurze Zeit später bekommen wir wieder grünes Licht. Der Zug setzt seine Fahrt fort. Gemütlich, aber doch gegen 60 km/h schnell, fahren wir dem Brienzersee entlang. Immerhin ist unsere Lokomotive mit Baujahr 1913 die schnellste Schmalspurdampflok Europas. Wir sitzen übrigens in der dritten Klasse, etwas grössere Abteile befinden sich in der zweiten Klasse. Eine erste Klasse gibt es nicht. Mittlerweile sind die Kondukteure in unserem Wagen angelangt. Die Billette werden kontrolliert. Dafür sind Marc Ritschard und Lars Weissenberger zuständig. Auch sie gekleidet in Uniformen aus der Dampfbahnzeit. Für unser Papierticket erhalten wir ein Kartonticket, wie sie früher gang und gäbe waren. Ein schönes Erinnerungsstück.
Im Führerstand – Teil 1
10.10 Uhr: In Brienzwiler dann der erste offizielle Stopp. Die Passagiere dürfen aussteigen, die Toiletten aufsuchen, denn an Bord ist das Wasserlassen nicht möglich. «Das ist Fluch und Segen zugleich», sagt Mike Ellis, ist aber froh, dass neben all den anderen Arbeiten nicht auch noch Toiletten geputzt und instand gehalten werden müssen. Von Brienzwiler bis Meiringen darf unser Fotograf im Führerstand Platz nehmen. Bei Andy Alig und Sandro Imboden. «Hast du eine Ahnung von Dampflokomotiven?», wird er gefragt – und verneint. «Möchtest du, dass ich dir das Wichtigste erkläre?» Und so erhält er Informationen aus erster Hand, während der Schreiberling den Barwagen aufsucht und sich ein Sandwich gönnt.
Lok- und Lokführerwechsel
Auch in der Dampfbahn sitzt Melchior Anderegg, zumindest ein Mann, der so gekleidet ist wie der berühmte Meiringer Bergführer aus dem goldenen Zeitalter des Alpinismus. Es ist Robertus Laan. Er begleitet den «Moriarty Express», eine geführte Tour, die nebst der Fahrt mit der Dampfbahn auch den Besuch des Reichenbachfalls sowie des Sherlock-Holmes-Museum in Meiringen beinhaltet. Hier angekommen, verlässt die Gruppe denn auch die Bahn. Am Abend, auf der Rückfahrt, werden sie wieder zusteigen. In Meiringen müssen auch die Lokomotive – die Adhäsionslok weicht der Zahnradmaschine HG 3/3 1068 mit Jahrgang 1926, welche von einem zweiten Team vorbereitet wurde – und die Lokführer gewechselt werden. «Wir kommen sonst auf zu viele Stunden», erklärt Andy Alig, der im «normalen» Leben als Lokführer bei der Zentralbahn angestellt ist. «Wir müssen die gesetzlichen Ruhezeiten einhalten.»
Hoch zum Brünig
10.50 Uhr: Vor uns steht der Anstieg zum Brünigpass – von 595 m ü. M. auf über 1000 m ü. M. Allein auf dieser Strecke wird die Bahn um die 300 Kilogramm Kohle und 2000 Liter Wasser verbrauchen. Für Lokführer Nicolas Darioli und Heizer Adrian Kehrli, die nun vorne im Führerstand stehen, ein hartes Stück Arbeit. Fast im Minutentakt öffnet der Lokführer die Feuertür, damit der Heizer Kohle nachschaufeln kann. Die Hitze sorgt dafür, dass aus Wasser Dampf erzeugt wird. Den Wasserstand müssen die beiden denn auch immer im Auge behalten – und die Bar-Anzeige. Diese sollte während des gesamten Aufstiegs immer gegen 14 Bar betragen (maximaler Kesseldruck). Anblasventil, Regulierungsventil – immer wieder werden Räder gedreht und Hebel gedrückt, die Steuerung optimiert – und mehr oder weniger «Gas» gegeben. Nach 40 Minuten ist die Passhöhe in der vorgegebenen Zeit erreicht. Teilweise löchrige Feuerwehrschläuche werden ausgerollt – Wasser nachgefüllt. Im nächsten Jahr wird dann wieder die historische Zisterne samt Wasserkran in Betrieb sein. Mit vollem Wassertank geht die Fahrt weiter.
Im Führerstand – Teil 2
Vom Brünig via Lungern und Kaiserstuhl hinunter nach Giswil darf dann auch ich im Führerstand Platz nehmen. Die beiden Lokführer wirken sehr eingespielt. Weil es ziemlich laut ist, verständigen sie sich zum Teil nur mit Zeichensprache. Erst später erfahre ich, dass sie erst zum vierten Mal einen öffentlichen Zug über den Brünig fahren. Immer wieder blicken sie auf die Uhr. Die Dampfbahn ist mit einer Minute Verspätung unterwegs. Wir passieren Lungern, später Kaiserstuhl. Die Hitze des Heizkessels und das monotone Ruckeln machen langsam müde. Kurz nach 13 Uhr kommen wir in Giswil an. Ich freue mich auf die frische Luft – und das Mittagessen.
Bratwurst mit Brot
An einem Stand beim Bahnhof werden Bratwürste mit Brot verkauft. Dem leeren Magen schmeckts. Wir beobachten, dass einige Passagiere in Giswil bleiben, wiederum andere steigen neu dazu. Und zurück auf dem Perron stellen wir fest, dass die Lokomotive gedreht wurde und soeben wieder zu den Wagen zurückkehrt. Mit anderen Worten: Zuvor noch direkt hinter der Lok, sitzen wir für die Rückfahrt jetzt im letzten Wagen.
Die Feuerwehr als ständiger Begleiter
14.40 Uhr: Die Dampfbahn setzt sich mit vollem Wassertank und neuer Kohle wieder in Bewegung. Den Brünig hoch – und den Brünig auch wieder runter. Unterwegs treffen wir immer mal wieder Sandro Böhringer und Silvan Grossmann von der Feuermeldegruppe an. Die beiden folgen der Dampfbahn mit einem Abstand von rund zehn Minuten. Aus Sicherheitsgründen. Hätte unsere Dampffahrt vor einer Woche stattgefunden, sie wäre wohl der Trockenheit zum Opfer gefallen. Im letzten Jahr verhinderte das kantonale Feuer- und Feuerwerksverbot eine der Nostalgiefahrten.
Auf die Drehscheibe
16.40 Uhr: In Meiringen legen wir einen letzten grösseren Halt ein, auch weil hier einige Manöver stattfinden, oder um es in den Worten auf dem offiziellen Betriebsablauf zu schreiben: «Lok 1068 wird abgehängt, fährt zur Drehscheibe, abdrehen, Wasser fassen, fährt zur Lok 208. Kuppeln mit Lok 208 (Vorspann-Betrieb), umstellen Gleis 3, vor den Zug spannen und Bremsprobe machen.» Zusammengefasst: Wir werden für den letzten Abschnitt von gleich zwei um die 30 Tonnen schweren Lokomotiven gezogen.
Feierabend – zumindest für uns
Auf die Minute genau pünktlich um 18.13 Uhr sind wir zurück in Interlaken Ost. Die Passagiere verlassen glücklich, mit vielen tollen Erinnerungen und vollen Speicherkarten den Zug. Auch wir haben Feierabend, während das Personal der Brünig Dampfbahn zurück ins Depot fährt. Sie müssen noch die Lokomotiven – heiss werden sie noch am nächsten Tag sein – warten, die Wagen putzen. Dann erst geht für sie ein langer Arbeitstag zu Ende, ein unentgeltlicher Arbeitstag notabene. Dass die Bahn überhaupt wieder fährt, ist für die Dampffreunde Lohn genug. Oder aber die überschwängliche Freude der englischen Touristin, die für den letzten Streckenabschnitt in den Führerstand darf und von diesem Erlebnis vermutlich noch ihren Kindern und Kindeskindern erzählen wird. Ja, und auch wir werden die Fahrt mit der Brünig Dampfbahn so schnell nicht vergessen.
Mehr Informationen
Brünig Dampfbahn
Fotos: Dennis Menoia
Story: Raphael Hadorn
Sommer 2023
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