Unterwegs mit
Luzius Gartmann, Besucherführer Grimselwelt
«Keine Führung ist wie die andere»
«Herzlich Willkommen in der Grimselwelt. Mein Name ist Luzius Gartmann. Ihr seid heute Nachmittag mit mir unterwegs.» Vor dem 74-Jährigen beim Besucherzentrum Grimsel Hospiz stehen 11 Personen eines Architekturbüros aus dem Luzernischen. «Firmen führe ich häufig durch die Grimselwelt, aber auch Vereine sowie natürlich Privatpersonen.» Was auffällt: Letzten Sommer buchten auffallend viele Familien eine Tour. «Und Schulklassen, die können gratis kommen», ergänzt Luzi, wie der Besucherführer am liebsten genannt wird.
«Hospiz: Grimsel Undergrund» heisst die Tour, welche sich die Gruppe ausgesucht hat. Noch einmal die gleiche Führung wie am Morgen für Luzius Gartmann. Und erneut ein Firmenausflug. Ist es nicht langweilig, immer das Gleiche erzählen zu müssen? «Keine Führung ist wie die andere. Ich versuche immer möglichst flexibel auf die Gäste einzugehen. Führungen können sich in die unterschiedlichsten Richtungen entwickeln.» So auch heute. Nicht ganz überraschend stellen die Mitarbeiter*innen des Architekturbüros viele bautechnische Fragen. «Was passiert mit der alten Staumauer», will zum Beispiel jemand in der Hospizbahn vom Grimsel Hospiz hinunter in Richtung der wachsenden Spitallamm Staumauer wissen. Gartmann erklärt, dass diese bestehen bleibt – und liefert gleich noch einige Infos zu den beiden fast hundert Meter hohen Baukränen. Etwa wie diese angeliefert wurden. Aber auch zur Arbeit des bestimmt schwindelfreien Kranführers. Unten angekommen erklärt Gartmann: «Wir fahren nun durch den 1.7 Kilometer langen Stollen, der die Kraftwerke Grimsel 1 und Grimsel 2 miteinander verbindet.» Die Besucher steigen in den Stollenbus – und los geht die Fahrt durch den Untergrund der Grimselwelt.
«Man lernt nie aus»
2013 hat sich Luzius Gartmann bei der Grimselwelt zum Besucherführer ausbilden lassen. «Ich habe viel über die Kraftwerke und die Anlagen erfahren», sagt er, um gleich zu betonen: «Aber man lernt nie aus. Die Arbeit muss Teil von deinem Leben werden.» Auf Deutsch, ab und zu in englischer Sprache, ganz selten auf Französisch führt Gartmann Touren durch. «Ich erinnere mich noch gut an meine erste Gruppe. Ich war extrem nervös – und die Führung verlief überhaupt nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte.» Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Gartmann ist gelassen, ruhig, spielt seine Routine aus. «Ich bin der älteste, aber nicht der dienstälteste Besucherführer», sagt er. Gartmann hofft, dass er gesund bleibt – und noch viele weitere Jahre sein Hobby seine Arbeit nennen darf. Ein Traumjob? «Absolut, ja», antwortet Gartmann, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. «Ich habe das grosse Privileg, dass ich pensioniert bin und arbeiten darf, was mir Freude bereitet, nicht nur arbeiten muss, um Geld zu verdienen. Die Führungen sind vielfältig. Es geht um Nachhaltigkeit, Technik, aber auch Politik – und ich lerne jeden Tag interessante Menschen kennen.»
«Ich verstehe mich als Touristiker»
Nach rund fünf Minuten Fahrzeit ist das Pumpspeicherwerk Grimsel 2 erreicht. Hier befinden wir uns 500 Meter unter dem Oberaarsee und 100 Meter unter dem Grimselsee, tief im Grimsel-Granit. Auf einigen Tafeln an der Wand erklärt Gartmann das Kraftwerk. Wie viel Prozent macht die Wasserkraft aus? Wer sagt, wie viel Strom produziert werden muss? Auf fast jede Frage erhalten die Besucher*innen eine schlüssige Antwort. Und auch Ausflugstipps gibt er. «Die Triftbrücke wurde nach dem Vorbild der nepalesischen Dreiseilbrücken gebaut», macht er Werbung für die Hängebrücke im Gadmertal. Und später im Gespräch sagt er: «Ich verstehe mich auch als Touristiker.» Mittlerweile steht die Gruppe in der imposanten Schieberkammer. «Hier wird die gesamte Wassersteuerung über gross dimensionierte Kugelschieber und Drosselklappen betätigt. Je 8 Leitungen führen zum 500 Meter höher gelegenen Oberaarsee und zum 100 Meter höher gelegenen Grimselsee.»
Dann ist es wieder an der Zeit, im Bus Platz zu nehmen.
Ein Zürcher im Haslital
Wir schreiben das Jahr 1999. Luzius Gartmann führt im Kanton Zürich ein Bürofachgeschäft – die Wochenenden aber verbringt er fast immer mit seiner Frau im Haslital. «Die Berge hier haben es mir einfach angetan.» In ihm wächst der Wunsch, einmal im Sommer eine Berghütte zu führen. Seine Frau stimmt dem abenteuerlichen Vorhaben zu. Aus einer Berghütte wird schliesslich ein Hotel, aus einem Jahr werden sechs Jahre. Von 1999 bis Sommer 2005 übernehmen die Quereinsteiger das Hotel auf der Schwarzwaldalp. «Unser erster Abend war der Millennium-Silvester. Wir hatten ein volles Haus», erinnert sich Gartmann. Zum Hotel auf der Schwarzwaldalp gehört ein Kleinkraftwerk, «das sehr viel Betreuung brauchte, mich aber unglaublich fasziniert hat.» Spätestens jetzt weiss er: «Nach der Pensionierung will ich Besucherführer bei den KWO werden.» Doch nach sechs Jahren auf der Schwarzwaldalp geht es vorerst zurück ins Züribiet. Aber nur zum Arbeiten. «Immer am Freitagabend sind wir Richtung Haslital gefahren und haben das Wochenende in der Jungfrau Region verbracht.» Genauer gesagt in Falcheren, wo das Ehepaar ein Bauernhaus gemietet hatte.
Und es werde Licht
Der Bus stoppt. Noch einige Meter zu Fuss, dann ist die Schatzkammer der Grimselwelt erreicht – die Kristallkluft Gerstenegg. 1974 wurde sie beim Stollenbau entdeckt und kurz darauf vom Berner Regierungsrat unter Schutz gestellt. Gartmann drückt den Lichtschalter. Die Kristalle erstrahlen in ihrem ganzen Glanz. Fotoapparate und Handys werden gezückt.
«Die Arbeit ist vielseitig»
Seit drei Jahren wohnt Luzius Gartmann in Meiringen, zuvor war er in Balm Zuhause. «Ich wurde im Haslital wahnsinnig gut aufgenommen», sagt er. Die Einheimischen waren für ihn, etwa im Restaurant auf der Schwarzwaldalp, aber auch immer sehr wichtig. «Sie sind schliesslich jene Gäste, die immer da sind.» In der Grimselwelt führt Gartmann diverse Führungen durch. Nicht nur die Untergrundführung beim Hospiz, sondern auch Baustellenführungen bei der Staumauer Spitallamm oder durch die Kraftwerke Handeck 1 und 2 sowie Innertkirchen. Und er hilft auch mal woanders aus. Etwa an der Kasse oder bei der Bedienung der Triftbahn. Oder er begleitet im Winter die Hotelgäste zum Grimsel Hospiz. Eine je nach Wetter sehr abenteuerliche Reise. Sie führt mit dem Postauto zur Handeck, dann mit der grossen Seilbahn auf die Gerstenegg, drei Kilometer durch den Stollen ins Sommerloch und schliesslich mit der Hospizbahn hinauf zum Hotel.
Applaus als Lohn
Luzius Gartmann schaut auf die Uhr. Schon sind die zwei Stunden fast vorbei. Ein gutes Zeichen, wenn die Zeit im Nu verfliegt. Er führt die Gruppe zurück zum Ausgang, wo bereits das Grimseltaxi wartet. «Ich hoffe, es hat euch gefallen. Gute Heimreise.» Der Besucherführer verabschiedet sich von seiner Gruppe. Diese bedankte sich, applaudiert. «Einen schöneren Lohn gibt es nicht», sagt Luzius Gartmann, packt seine sieben Sachen zusammen und fährt nach Hause. Morgen steht schon die nächste Führung an.
Mehr Informationen
Führungen Grimselwelt
Story und Fotos: Raphael Hadorn
Frühling 2022
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